Hartz IV und Gentrifizierung

von Marc Meyer

Insbesondere in den innerstädtischen aufstrebenden Stadtteilen haben in den letzten Jahren Abrisse, Neubauten, Wohnungszusammenlegungen, Umwandlungen in Eigentum und Modernisierungen die durchschnittlichen Nettokaltmieten für Wohnungen auf deutlich über zehn Euro pro m² steigen lassen.

Vor dem Hintergrund der am 01.01.2005 wirksam gewordenen Hartz-IV-Gesetze führt diese Mietpreisentwicklung dazu, dass MieterInnen, die Leistungen nach dem SGB II (Hartz-IV) oder dem SGB XII (Sozialhilfe/Grundsicherung) erhalten, zunehmend schwerer in den nun so begehrten Stadtteilen wohnen bleiben bzw. nicht mehr dort hinziehen können. Faktisch ist die aktuelle Sozialpolitik damit Motor der stattfindenden Gentrifizierungsprozesse und Veränderungen der BewohnerInnenstrukturen. SozialleistungsempfängerInnen können die zunehmend in Eigentumswohnungen umgewandelten Mietwohnungen nicht erwerben und die Mieten in Neubauten in der Regel nicht bezahlen. Verblieben ihnen im innerstädtischen Bereich bislang die noch vorhandenen unsanierten, nicht modernisierten Gebäude mit verhältnismäßig preiswerten Wohnungen zum Leben, so werden die entsprechenden Gebäude nun zur Erzielung höherer Mieten im Rahmen der Gentrifizierungsprozesse weitgehend saniert und modernisiert.

Die LeistungsbezieherInnen haben zwar grundsätzlich einen gesetzlichen Anspruch darauf, dass die zuständige Sozialbehörde neben dem Regelsatz zum Überleben auch die Unterkunftskosten in der tatsächlichen Höhe übernimmt. Dies gilt allerdings nur, soweit die Behörde die Kosten der Unterkunft noch als angemessen erachtet, oder eine Kostensenkung unmöglich oder unzumutbar ist. Welche Unterkunftskosten die Sozialbehörde noch als angemessen bewertet, regelt sie in einer rigide angewandten Dienstanweisung. Diese geht von Miethöhen auf Basis eines überholten Mietspiegels vom jeweiligen Mittelwert für die bewohnte Baualtersklasse aus, welche die wesentlich höheren aktuellen Marktpreise nicht im Geringsten wiederspiegeln. Untermieten werden rechtswidrig auf 300 Euro inklusive aller Nebenkosten gedeckelt.

Wer bisher in unsanierten Wohnungen noch Mieten auf oder unter dem Niveau des Mietenspiegels bezahlte, welche durch die Sozialbehörde anerkannt wurden, erfährt durch die derzeitigen Modernisierungen in den aufstrebenden Stadtteilen empfindliche Mieterhöhungen. Alle wohnwerterhöhenden Umbauten oder ökologischen Verbesserungen der Wohnung bezahlen entsprechend der gesetzlichen Regelungen ausschließlich die MieterInnen. Sie zahlen den investierenden VermieterInnen von den für die jeweilige Baumaßnahme aufgewandten Kosten jährlich 11% über die Mieten zurück. Mieterhöhungen von über 100 Euro monatlich sind daher für Ein- bis Zweipersonenhaushalte keine Seltenheit. Diese Mieterhöhungen bewirken jedoch keine Erhöhung der durch die Sozialbehörde anerkannten Miete, so dass die Wohnung künftig als zu teuer für die SozialleistungsempfängerInnen gilt. Überschreitet die Nettokaltmiete die behördlich festgelegten Mietobergrenzen, so werden LeistungsempfängerInnen häufig schriftlich aufgefordert, die Unterkunftskosten innerhalb einer Frist von 6 Monaten zu senken. Ist eine Senkung der Wohnkosten nicht durch Untervermietung möglich, so soll nach einer Wohnung mit sozialrechtlich anerkannter Miete gesucht werden, was in den aufstrebenden Stadtteilen aussichtslos ist. Gelingt die Kostensenkung innerhalb der Frist nicht, dann droht die Gefahr, dass die Behörde künftig nur noch den von ihr für angemessen erachteten Betrag der Mietkosten übernimmt. LeistungsempfängerInnen werden den Fehlbetrag kaum aus dem Regelsatz aufbringen können, so dass Mietschulden und Kündigung drohen.

Letztlich bleibt vielen nur noch der unfreiwillige Fortzug aus dem bisherigen Stadtteil. Seit der Einführung der Hartz-IV-Gesetze wurden bislang in Hamburg ca. 10.000 Haushalte zur Kostensenkung bei den Unterkunftskosten durch die Sozialbehörde aufgefordert. Mietobergrenzen, die SozialleistungsempfängerInnen zum unfreiwilligen Wegzug zwingen, gab es zwar auch schon vor Gesetzeseinführung. Durch die Einführung der neuen Gesetze ist nun jedoch ein weitaus größerer Personenkreis von den Mietgrenzen betroffen, der Wohnungsmarkt ist zunehmend enger und teurer geworden und die Sozialbehörde hat ihre Bemühungen zur Durchsetzung der Obergrenzen massiv verstärkt.

Bei öffentlich geförderten Wohnungen (zumeist mit Preisbindung und behördlichen Belegungsrechten) gilt zwar für die LeistungsempfängerInnen die Sonderregelung, dass es für die Frage der Angemessenheit des Wohnens nicht auf die Miethöhe, sondern lediglich auf die anerkannte Wohnfl äche ankommt (eine Person 50 m², zwei Personen 60 m², drei Personen 75 m²). Dies schützt jedoch faktisch nur die Menschen, die bereits eine angemessene Wohnung bewohnen und deren Anzahl sich nicht verändert. Die Neuanmietung einer solchen Wohnung ist kaum noch möglich. Preiswerte öffentlich geförderte Mietwohnungen werden kaum noch gebaut, der Bestand an den sogenannten Sozialwohnungen hat sich in den letzten Jahren drastisch verringert. Von in Hamburg ehemals 211.000 Wohnungen im Jahre 1993 existierten im Jahr 2007 mit 116.000 nur noch gut die Hälfte. Jährlich fallen weitere 5.000 Wohnungen aus der Sozialbindung. Nachdem sie aus der Sozialbindung fi elen werden sie in sogenannten Szenevierteln dann mitunter in Eigentum umgewandelt und für deutlich über 2000 Euro den Quadratmeter verkauft.

Auch ein Zuzug in weite Teile der inneren Stadt ist für LeistungsbezieherInnen nach Hartz-IV aufgrund der Miethöhen kaum noch möglich, da sie einen neuen Mietvertrag nur nach vorherigem Einverständnis der Behörde ab- schließen dürfen. Anderenfalls werden keine mit dem Umzug verbundenen Kosten übernommen und meist nur eine niedrigere Miete weiter bezahlt. LeistungsbezieherInnen müssen sich also nicht nur - wie andere wirtschaftlich schwächer aufgestellte Personen - gegen leistungskräftige MietinteressentInnen bei dem Vermieter durchsetzen, sondern dann noch eine Erlaubnis der Sozialbehörde einholen. Generell wird jedoch aufgrund der heutigen Miethöhen keine behördliche Erlaubnis zu einem Umzug in eine teurere Wohnung erteilt.

Die MieterInnenvertreibung durch die Sozialpolitik kann nur dadurch geändert werden, dass alle mietrechtlich nicht angreifbaren Mietenhöhen in bestehenden Mietverhältnisse von SozialleistungsempfängerInnen grundsätzlich als sozialrechtlich angemessen anerkannt werden.

Die Explosion von Mieten kann angesichts der am Wohnungsmarkt wirkenden Kräfte ebenfalls nur durch gesetzliche Vorschriften gebremst werden. Etwa im Rahmen einer sozialen Erhaltungssatzung, die Umwandlungen in Wohnungseigentum sowie kostensteigernde Modernisierungen genehmigungspflichtig macht. Die vollständige Freiheit hinsichtlich der Miethöhe bei Neuvermietungen müsste zur Vermeidung von Mietwucher durch entsprechende Änderung des Wirtschaftsstrafgesetzbuchs beschnitten werden. Der § 559 BGB, der die MieterInnen verpflichtet, über Mieterhöhungen alle Modernisierungskosten zu tragen, gehört abgeschafft. Preiswerte öffentlich geförderte Wohnungen müssen jährlich zu Tausenden an attraktiven Standorten errichtet werden.


Rechtsanwalt Marc Meyer, arbeitet als Jurist beim
Hamburger Mieterverein »Mieter helfen Mietern« (www.mhmhamburg.de)