Städtische Verwertungsökonomien

von Andrej Holm

Das Geschäft mit den Immobilien steht seit Beginn der kapitalistischen Urbanisierung auf der Tagesordnung der Stadtentwicklung. Bereits im Zeitalter der Industrialisierung und des schnellen Städtewachstums wurden die Stadterweiterungen von Bodenspekulation und profitorientierten Entwicklungsgesellschaften bestimmt. Unter kapitalistischen Bedingungen verwandelt sich der Boden selbst zur Ware und unterliegt den Verwertungslogiken.

Neu ist jedoch die Struktur der aktuellen Akteure. Statt der traditionellen Immobilienentwickler und Wohnungsbauunternehmen waren es in den letzten Jahren zunehmend Finanzmarktakteure, die auf die Wohnungs- und Immobilienmärkte drängten. Banken wie UBS und globale Finanzdienstleister wie Morgan Stanley erwarben 1a-Immobilien wie das Atlantic-Haus oder den Astra-Turm in Hamburg, Investmentgesellschaften wie Cerberus, Blackstone und Fortress kauften hundertausende Wohnungen. Insbesondere durch den Verkauf von Wohnungen aus der öffentlichen Hand an überwiegend internationale institutionelle Anleger und die damit verbundene Privatisierung von Wohnungsbaugesellschaften hat eine öffentliche Debatte um die Verwertungsstrategien und Investitionsmotive der neuen Eigentümer/innen begonnen.

Kritiker/innen der massiven Privatisierungsprozesse in der letzten Dekade haben sich dabei nicht mit der Legitimationsrhetorik der 'leeren Haushaltskassen' zufrieden gegeben, sondern die Verkäufe als Teil einer „globalen Enteignungsökonomie“ (Zeller 2004) in den Kontext internationaler Kapitalkreisläufe interpretiert: Angeregt von Debatten kritischer Geographen (Harvey 2009) und Ökonomen (Chesnais 2004) lassen sich die verstärkten Investitionen in deutsche und internationale Immobilien- und Wohnungsmärkte als Ausdruck eines 'finanzdominierten Akkumulationsregimes' verstehen. Dahinter verbirgt sich die Beobachtung der zunehmenden Disparität zwischen der globalen Wertschöpfung und den, um ein vielfaches höheren Umsätzen der Finanzmärkte. Das Volumen der Devisentransaktionen entspricht dem 70fachen des weltweiten Handels mit Gütern und Dienstleistungen, der Handel mit Zinsderivaten ist sogar 100mal höher (Klein 2008: 94). Die nun in die Krise geratene Finanzwirtschaft der vergangenen 20 Jahre kann als eine Ökonomie der ungedeckten Schecks bezeichnet werden. Auf der einen Seite wurden immer neue Anlagemodelle in Fonds, Versicherungen und Derivatenhandel aufgelegt, auf der anderen Seite gab es immer weniger gewinnträchtige Produktionssphären, die diesen Handel tatsächlich hätten decken können. Die den Anleger/innen versprochenen Gewinne gerieten so in Gefahr. Als Ausweg solcher Verwertungskrisen wurden in der Geschichte der kapitalistischen Ökonomie regelmäßig Investitionen in den sogenannten 'zweiten Kapitalkreislauf', also in große Bauprojekte, Immobilienmärkte und Infrastrukturen getätigt. David Harvey beschreibt diesen Vorgang als Absorption der Gewinne, um deren Reinvestition in Bereichen der Warenproduktion (‚erster Kapitalkreislauf’) einzuschränken. Auch der Einstieg in vormals öffentliche Unternehmen ist Teil dieser Strategie. Dabei wird die Verwertungslogik auf bisher marktferne Gesellschaftsbereiche ausgeweitet, deshalb die Rede von der „Enteignungsökonomie“.Doch diese Strategie hat einen kleinen Haken: auch die kurzfristig in den Immobilienmarkt abgeführten Investitionssummen müssen sich langfristig amortisieren und Gewinne erwirtschaften. Die längeren Umschlagszeiten des Kapitalkreislaufes im Immobilienbereich stellen somit nur eine kurzfristige Entlastung für die Verwertungskrisen dar. So wundert es nicht, dass die aktuelle Krise der Finanzmärkte ihren Ausgangspunkt in den Hauskauf-Krediten der amerikanischen Arbeiterklasse genommen hat. Die aktuelle Krise ist daher nicht nur die Krise des Finanzmarktes, sondern vielmehr die Krise der Krisenbewältigungsstrategien des Kapitals. Wenn man so will, ist der ‚zweite Kapitalkreislauf’ so etwas wie ein Rettungsring fürs Kapital, weil der "tendenzielle Fall der Profitrate" (Marx) damit aufgefangen werden soll. Was wir gerade erleben ist der Zusammenbruch dieses Rettungsrings.
Nun wäre es ein Einfaches zu argumentieren, die Verwertungskrise der internationalen Finanzmarktökonomie ist nicht unsere. Doch wie dargestellt hat sich die weltweite Finanzökonomie auf engste mit der Stadtentwicklung verknüpft und die aktuelle Krise ist eben auch eine Krise der kapitalistischen Urbanisierung. Während traditionelle Wohnungsmarktprofite in der Regel über eine langfristige und substanzorientierte Strategie der Wertsteigerung realisiert wurden, orientieren sich die institutionelle Anleger an einer kurzfristigen bilanzorientierten Inwertsetzung. Praktisch äußert sich dieser Übergang von der Wohnungsverwaltung zur Wohnungsverwertung in einer Beschleunigung des Wohnungshandels und einer Differenzierung der Wohnungsbewirtschaftung. Die neuen Eigentümer/innen - ohne das Interesse an einer langfristigen Bestandsverbesserung ihrer Immobilien – setzen für große Teile ihrer Wohnungsbestände neue Methoden des effizienten Managements durch. In der Konsequenz werden dabei vor allem Instandsetzungsleistungen, Vermietungsservice und Personalkosten reduziert. Insbesondere in den einfachen Wohnlagen vieler privatisierter Siedlungen droht so eine schrittweise Verschlechterung der Wohnverhältnisse. Reduziert auf das schlichte Kerngeschäft der Wohnflächenvermietung bleiben für alle jene, die auf preiswerten Wohnraum angewiesen sind, letztlich Formen des Discount-Wohnens. Für einen (meist) kleineren Teil der erworbenen Immobilien orientieren sich die Finanzinvestor/innen an Verkäufen und der Umwandlung in Eigentumswohnungen. Insbesondere in nachgefragten Aufwertungsgebieten tragen solche Investitionsstrategie zur Aufwertung und beschleunigten Verdrängung teil. Während die Umwandlung in Eigentumswohnungen meist direkt auf den Austausch der Bewohner/innen zielt, werden beim Verkauf von Wohnhäusern die Modernisierungsspotentiale mit auf den Preis aufgeschlagen und verstärken so indirekt den Aufwertungsdruck. Insbesondere auf das Umwandlungsgeschehen in den Städten wirkt sich die Finanzkrise sogar belebend aus. Analysten und Immobilienvermarkter haben in den vergangenen Monaten einen Anstieg von Kaufinteressnet/innen festgestellt. Während die institutionellen Anleger sich auf den Wohn- und Immobilienmärkten zur Zeit zurückhalten, investieren kleine und mittlere Privatanleger, die noch nicht alles Vermögen verloren haben nun lieber „in Steine“ als an den unsicheren Aktienmärkten.

Prozesse der Gentrification und Verdrängung werden uns daher so lange begleiten, wie die Stadtentwicklung einer Marktlogik unterworfen bleiben. Langfristig wird nur die Sozialisierung der Wohnungsversorgung und die Etablierung von marktfernen Eigentumsformen eine sozial verträgliche Stadtentwicklung sichern.


Andrej Holm ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Goethe-Universität Frankfurt a. M. und aktiv in Mieterorganisationen und Stadtteilinitiativen. Außerdem betreibt er das Webblog gentrificationblog.wordpress.com

Literaturtips:

Chesnais, Francois 2004: Das finanzdominierte Akkumulationsregime: theoretische Begründung und Reichweite. In: Zeller, Chiristian (ed.): Die globale Enteignungsökonomie. Münster: Verlag Westfälisches Dampfboot, 217-254

Harvey, David 2009: Is This Really the End of Neoliberalism? The Crisis and the Consolidation of Class Power. CounterPunch (http://www.counterpunch.org/harvey03132009.html) Kleine, Dieter 2008: Krisenkapitalismus. Wohin es geht, wenn es so weitergeht. Berlin: Dietz Verlag Zeller, Christian (Hg.) 2004: Die Globale Enteignungsökonomie. Münster: Verlag Westfälisches Dampfboot